Holstenfleet: Der große Wurf?

Mobilitätswende
Autor:in

Thilo Pfennig

Veröffentlichungsdatum

21. August 2020

Schlüsselwörter

barrierefreiheit, fahrradpolitik, fahrradverkehr, holstenbruecke, holstenfleet, kleiner-kiel-kanal, radwege

Die neue Holstenbrücke 2020

Der “Kleine Kiel Kanal” ist fertig. Manche nennen ihn bereits Holstenfleet, aber der offizielle Name ist es noch nicht. Der NDR berichtet darüber in einem aktuellen Artikel. Unter anderem kritisiert die CDU, das der Kanal zu schattig ist. Die richtige Antwort darauf ist wohl, dass da wohl viel Licht, auch viel Schatten ist.

Die Grundüberlegungen

Was ist daraus geworden?

Generell: Autos teilweise zu verbannen war eine gute Idee und nützt der Aufenthaltsqualität. Wir haben allerdings noch immer das Problem, dass es eben auch nach wie vor viele Parkhäuser und Parkplätze im Kernbereich gibt. Von der Seite der Stadt Kiel:

Standorte von Parkhäusern in der Altstadt/Innenstadt

In dem Stadtteil “Altstadt” leben zur Zeit 1131 Menschen. Vor dem Bau der Quartiere “Alte Feuerwache und”Schloßquartier” waren es lediglich 600. So konnten zwei Bauprojekte, die Einwohner:innenzahl bereits nahezu verdoppeln.

Ich denke die klassische Innenstadt, wie man sich in den 60er Jahren gedacht hat ist als Idee gestorben. Es wird nie wieder so sein, dass Menschen in eine Innenstadt fahren müssen, um zu einem Fachgeschäft zu kommen, oder gar nur dort Mode kaufen können. Vieles liegt am Internet, aber auch an Outlet-Centern oder großen Malls am Stadtrand, wie der CITTI Park (2006). Aber auch bereits an Einkaufszentren wie dem Sophienhof. Innenstädte erleben genau so einen Niedergang wie klassische Kaufhäuser.

Generell stellt der Umbau schon gute Impulse zur Verfügung: Mehr Platz für Fußgänger:innen, leichte Verbesserung für das Rad als Fortbewegungsmittel und mehr Aufenthaltsqualität in der Altstadt. Allerdings hat man bei der Planung und Umsetzung des Hosltenfleetes zu viel Aufmerksamkeit den Wasserbecken und Sitzgelegenheiten gewidmet und zu wenig der Einbindung des Fleets vor allem hin zum Martensdamm und der Andreas-Gayck-Straße.

Die Kurve am Martensdamm, Einmündung zur Holstenbrücke

Da die Bushaltestellen auf der Holstenbrücke ersatzlos wegfallen, ist nun die Haltestelle Martensdamm am nächsten (genau so wie Opernhaus/Rathaus). Man hat aber leider vergessen, dass man auch zu den Haltestellen gelangen muss. Und dazu gibt es über den Martens damm keine Ampel und es ist nicht ausreichend barrierefrei (die Willestraße ist neu gepflastert und stellt eine Barriere für Rollaltoren usw. dar) Es bleibt unklar wie und wo man den Übergang schaffen soll. Ich habe da Eltern mit Kinderwagen hektisch und ängstlich die Straße überqueren sehen. an muss dazu zB. links und rechts rückwärts den Verkehr im Auge behalten. Gerade für ältere Menschen und Kinder ist das unmöglich.

Dann noch der Aspekt des Radverkehrs: Der soll in der Theorie auf der Busspur nebenbei laufen. Allerdings hat der auch Abbiegeproblem. Davor existieren lediglich Schutzstreifen. Die Radfahrenden müssen in der Kurve während der Fahrt rückwärts schaue und gleichzeitig seitlich/rückwärts den entgegengesetzten Verkehr im Auge behalten. Auf den Busspuren: Wir alle erleben täglich die Rücksichtslosigkeit der Busfahrer:innen - es funktioniert nicht! Es war genug Zeit, Geld und Fläche da, um auch Radfahrende zu berücksichtigen. Aktuell würde ich sagen. Fürs Rad würde es reichen, wenn es keine Busse geben würde! Wir haben ja auch sogar neu noch die Elektroroller, die uns die Stadt aufzwingt.

Auf der anderen Seite der Andreas-Gayck-Straße biegen die Busse rechts ab. Es gibt eine große Mittelinsel, die mit zahllosen Fahrradbügeln blockiert wird. Durch die breite Mittelinsel bleibt nur ein relativ schmaler Gehweg über und auch die Radspur wirkt an dieser Stelle nicht überzeugend. Auch hier wird nicht klar, was man sich dabei gedacht hat.

Die Gesamtlösung sieht so aus, als wenn man immer die Wasserlösung im Fokus gehabt hat. Die wurde breit angelegt, so dass kein Platz mehr für Radwege und Haltestellen blieb. Nun hat sich der Weg von den Haltestellen zur Holstenstraße vervielfacht und wurde gefährlicher. Einfach aussteigen und schon ist man in der Fußgängerzone: Das war ein mal.

Vernachlässigt wurden also:

Am Anfang war also der Grundgedanke mit dem Wasser da und dem wurde alles untergeordnet. Da sind trotz allem auch gute und positive Sachen bei. Daher würde ich sagen: Der Umbau war richtig, aber ich denke es müssen noch weitere Millionen in die Hand genommen werden, um es zu reparieren. Es wirkt doch eher stümperhaft, wenn man den Fußverkehr ganz ausklammert oder bei 19 Mio meint, man könne das Rad mit ein paar Schutzstreifen und der Mitbenutzung des Busspur abspeisen. Fahrradbügel werden primär zur Parkverhinderung genutzt und nicht dort platziert, wo Fahrradfahrer:innen sie brauchen. Die Akzeptanz des Fahrrads und von Fahrradbügel sinken durch diese Verwendung als “Allzweckwaffe”. Das sage ich seit Jahren, aber die Stadt ist da nach wie vor total begeistert.

s.a. am Holstein-Stadion (weitere Fotos)

Ich denke, wenn man was absperrt muss es auf jeden Fall eine andere Form haben, die sich deutlich von Fahrradbügeln abgrenzt. Sonst denken die Leute: “Jaja, so viele Fahrräder gibts ja gar nicht - die ganze Fahrradsache ist Humbug!” Es wirkt fast so, als wolle die Stadt Kiel den Widerstand der Autofraktion für Fahrradpolitik provozieren. Keine Radfahrer:in fordert diese Bügel. Im Gegenteil: Es fehlt eher an wettergeschützten Anlagen, die nicht lieblos irgend wo aufgestellt werden.

Innenstädte müssen sich verändern

Generell sind also insbesondere die Impulse richtig und wichtig: Zurückdrängen des Autos und Innenstädte wieder bewohnt zu machen. Die Kieler Altstadt könnte vielleicht 10.000 Menschen beherbergen. Menschen die ganz normale Bedürfnisse haben nach Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs. Insofern müssen Innenstädte mehr werden, wie ganz normale Viertel. Ohne viele Anwohner:innen hätte die Holtenauer Straße zB gar nicht so eine Aufwind bekommen. Es sind nicht die Parkplätze. Davon gibt es in der Altstadt mehr als genug. Die Idee, das man in ein Stadtviertel im Zentrum einer Stadt fährt ist als Solches bereits pervers und unzeitgemäß. Die Lösung liegt nicht darin, das die Holstenstraße wieder voll vermietet wird. Die Lösung liegt darin aus Gewerberaum Wohnraum zu machen, Denn Wohnraum fehlt auch in ganz Kiel. Je mehr Wohnraum in der Innenstadt verfügbar ist, desto mehr sinken auch die Mietpreise und desto mehr Leute gehen in der Innenstadt einkaufen. Dort wo sie wohnen. Und zunehmend können dann auch Menschen zentral wohnen, die nicht so finanzkräftig sind. Bisher werden diese in Stadtteile wie Gaarden oder Mettenhof verdrängt und der Unterschied zwischen Arm und Reich verstärkt.

Auch müssen die Verbindungen zwischen Fußgängerzonen und Umfeld weiter verschwimmen. Ob Ziegelteich, Andreas-Gayck-Straße, Schloßstraße, Kaistraße, Sophienblatt - das ist auch alles Innenstadt und darf nicht die Stadt durchschneiden und die Innenstadt damit vom Umfeld separieren. Es muss schön und einfach sein in die Innenstadt reinzugehen und wieder heraus zu kommen. Aber zu Fuß. Je mehr wie das Auto fördern und Infrastruktur vorhalten, desto unattraktiver wird es für alle anderen. Mehr Meter mit dem Bus von der Haltestelle zum Geschäft kostet schon wieder Kundschaft. Und Aufenthaltsqualität. Und so kann die Innenstadt dann auch nicht in benachbarte Viertel ausstrahlen. So hat Kiel zB den Übergang in den Osten bereits seit Jahren überaus unattraktive gestaltet für Rad und Fuß. Und so wie es geplant ist, wird Kai City auch keinen Mehrwert bringen, sondern eher eine relative Einöde bleiben. Eine Strecke, die man schnell überwinden muss und die für Spaziergänger:innen nicht attraktiv ist.

Die klassische Innenstadt ist tot. Und wird auch nicht mehr wiederkommen, es sei denn eine Innenstadt für Anwohner:innen und Fußgänger:innen.

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