Mobilitätswende in Kiel 2024?

Autor:in

Thilo Pfennig

Veröffentlichungsdatum

2. Dezember 2023

Schnee Winter 2023

Kein Durchkommen für Rad / Fuß

Eine persönliche Vendetta trägt die Kieler Nachrichten seit Jahren mit der Rot-Grünen Kooperation aus. Nahezu täglich werden Artikel veröffentlicht von besorgten Bürger*innen, die ganz unten sind. Ganz unten auf der Suche nach Parkplätzen.

Im Foto oben aus der Gaardener Medusastraße sieht man aber die Realität in Kiel: Frei Fahrt für Autos. Aber Zufußgehende und Radfahrende haben hier keine Chance. Aus Sicht der KN aber totaler Quatsch.

Redakteur Kristian Blasel polemisiert in seinem heztugen Kommentar:

Manchmal reicht es, die Pressemitteilungen der Grünen in Kiel zu lesen, um zu merken, dass die Partei noch nicht begriffen hat, welche Verantwortung sie in der Landeshauptstadt inzwischen trägt. Beispiel Winterdienst: Am Tag nach dem überraschenden Kälteeinbruch und nach einem Morgen, an dem viele Menschen in Autos steigen mussten, um halbwegs pünktlich zur Arbeit zu kommen, schreibt ihr verkehrspolitischer Sprecher: Durch klimatische Veränderungen komme es immer wieder zu unvorhergesehenen Wetterereignissen. „Insbesondere die Velorouten, Fahrrad- und Fußwege und ÖPNV-Trassen müssen zuverlässig geräumt sein.” Pkw-Verkehr? Interessiert die stärkste Fraktion im Rathaus offenbar nicht

Herr Blasel, Leiter der KN Lokalredaktion fährt, darauf wette ich, mit dem Auto in die Reaktion. Sonst würde er nicht beklagen, dass Fußwege besser geräumt werden als Fahrbahnen für die Autos. Und er hätte vielleicht auch ehe beklagt, dass das Räumen von Fußwegen primär in der Hand von privaten Grundstückseigentümern liegt. Die Stadt räumt also bevorzugt für das Auto, etwas besser für das Rad (seit wenigen Jahren) und dast gar nicht für Zufußgehende.

Außerdem bemängelt Blasel im Kommentar, dass Grüne keine:

..Empathie für die Menschen in der Stadt zu zeigen, die nicht so einfach auf Fahrräder, unzuverlässige Bahnen oder lange Busfahrten umsteigen können.

Ja, wo ist das Mitleid mit den armen SUV-Fahrer:innen, die auf Gehwegen parken, die unter „Parkdruck” leiden. Dafür gibt es leider nur Antidepressiva in der Apotheke.

In einem Artikel ziehen die KN drei Monate nach Vereinbarung der Kooperationsvereinbarung (14.8.23) ein vernichtendes Urteil. In Grün-Rot legt Stolperstart hin schreibt Redakteur Tilmann Post u.a.

Rund zweieinhalb Monate nach der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages zwischen Grünen und SPD in Kiel lassen große politische Initiativen des Mehrheitsbündnisses weiter auf sich warten. Auf der Tagesordnung der jüngsten Ratsversammlung Mitte November etwa war nicht ein einziger Antrag der Kooperation zu finden

Gut, mag sein, dass die sich noch schwer tun. Man weiss ja hinter den Kulissen hat es innerhalb der SPD ja auch mehrfach gerumpelt zwischen der alten Riege der Autobefürwortern und den Jüngeren.

Kritisiert wird auch:

Walter nannte es einen „Mythos”, dass erst Alternativen zum Auto geschaffen werden müssten, bevor der Raum für das Auto eingeschränkt werden darf

Hier geht es aber um jahrzehntelange Erkenntnisse aus der Mobilitätsforschung. Es gibt ja grob gesagt zwei Thesen:

  1. Mobilitätswende wird nur dann gelingen, wenn zB das ÖPNV-Angebot parallel zum (wachsenden) Autoverkehr ausgebaut wird, wenn es riesige Par & Ride-Anlagen in Vororten oder außengelegenen Stadtteilen von Kiel gibt, zu denen dann Leute mit dem Auto aus Bad Segeberg fahren und dann in zB Wellsee in eine Stadtbahn umsteigen. Bis dahin soll KEIN EINZIGER Parkplatz wegfalle.

  2. Die Antithese ist, dass der Grund für die steigenden Zulassungszahlen und die hohe Nutzung des Autos ist, dass es im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern des „Umweltverbundes” (also von Fuß bis Zug) dermassen attraktiv ist, das NIEMAND umsteigt. Das also nur dann Leute NICHT mit dem Auto in die Stadt pendeln oder einkaufen fahren, wenn sie keine Parkplätze mehr finden. Und das zB der ÖPNV attraktiver werden muss und es mehr Spaß machen muss zu Fuß zu gehen oder zu radeln, als mit dem Auto zu fahren.

Die Entscheidung für oder gegen einen Verkehrsträger ist zwar auch emotional, aber auch rational. Ich habe auch eine kurze Zeit ein Auto besessen. Und wenn man folgende Strecke vergleicht; von Gaarden/Vinetaplatz zur Wirtschaftsakademie:

Das heißt ich bin dem Auto theoretisch schon wieder zurück am Vinetaplatz, wenn ich mit dem Bus erst ankomme. Über die Holstenauer Straße mit dem Auo wären es immerhin noch 23 Minuten.

Es waren gezielte Entscheidungen den Theodor-Heuss-Ring zu bauen in den 50er Jahren und später die B76 weiter über den Olof-Palme-Damm. Es ging darum AUSSCHLIESSLICH das Auto zu beschleunigen. Bus und Fahrrad hatten keinen Vorteil davon. Der Bus muss eh ab und zu halten, und fährt ja selte genau dort hin, wo man will.

Aber man muss folgende Erkenntniss sacken lassen: Jede Investition oder Entscheidung führt dazu, dass der eine oder der andere Verkehrsträger attraktiver wird. Wenn es einfacher und/oder schneller ist, mit dem Bus von Gaarden in die Wik zu fahren, dann machen die Leute das auch. Ganz rational. Einige werden vielleicht trotzdem mit dem Auto fahren, weil sie dann den Kofferraum bei famila vollknallen können. Kann sein.

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass Maßnahmen wie das irreguläre Parken zu beseitigen oder zu verfolgen ebenso einen Effekt haben wird, auf den Autokonsum, auf die nächste Anschaffung, auf die Häufigkeit von Fahrten.

Und hier passiert es: Autofahrende sind es gewohnt, dass sie extra eine Zufahrtsrampe zum IKEA bekamen und waren schwer begeistert. Überall parken: Geil! Das war und ist die Norm. Nur langsam ändert sich hier die Praxis. Die Verwaltung und das Tiefbauamt und Stadtpölanungsamt haben das genau so begriffen wie Teile der SPD und GRÜNEN. Und es gibt auch zahlreiche Papiere dazu, die teilweise auch die CDU und FDP unterstützt haben.

Die Frage ist jetzt: Wollen wir den Wandel jetzt aber bremsen und damit den Prozess verlängern, oder schneller zu einem anderen System kommen?

Wenn wir länger in der Grauzone bleiben wird es teuer. Es bedeutet voller Ausbau des ÖPNV, ohne Einschränkung des PKW. Steigende Autozahlen und nicht ausreichend viele ÖPNV-Nutzer:innen. Wer soll denn umsteigen? Warum soll man umsteigen? Soll die KVG bei ihrem knappen Personalstand auch noch leere Busse durch die Gegend fahren in der Hoffnung, dass in 20 Jahren doch mehr Leute umsteigen?

Es wird ehe schwierig genug. Personal fehlt auch bei der Bahn, dann die Privatisierungen, Zugausfälle, dann die Umstellung auf die Stadtbahn. Das Ganze macht nur Sinn, wenn man auch irgendwo spart. Aber das will die Kieler Nachrichten nicht. Es soll im Grunde nach ihrem Willen alles so bleiben, wie es ist und dann durch ein Wunder irgendwann ohne Zwang eine Wende von heute auf morgen stattfinden.

Ich glaube das wäre unrealistisch. Es ist ehrlicher die Konflikte anzusprechen. Sicher ist Politik oft ein drei Schritte vor und zwei zurück. Aber uns vorzumachen, dass es eine Mobilitätswende ohne Einschränkungen auch für Autofahrende geben kann ist unehrlich und geht der nötigen gesellschaftlichen Debatte aus dem Weg.

Es stimmt ja, dass man da diskutieren muss. Aber bisher war es ja eher so, dass seitens der Autofahrenden jeder Kompromiss abgelehnt wurde, während die Probleme immer größer wurden.

Der Weg der Mobilitäswende der eingeschlagen wird in Kiel ist eine klare Ansage, zu der es meines Erachtens an Alternativen fehlt. Und wie kann man der Kooperation gleichzeitig das Fehlen von Initiativen vorwerfen und gleichzeitig ihr vorwerfen, dass sie bestimmte Initiativen weiterverfolgen (zusammen mit der Verwaltung)? Beides gleichzeitig zu kritisieren ist etwas schräg.

Es gab seitens Grün-Rot und auch vom Oberbürgermeister vor den jeweiligen Wahlen sehr deutliche Ansagen pro Mobilitätswende. Darauf sind die Mehrheiten in der Ratsversammlung zustande gekommen. Mir selbst geht das auch meist nicht schnell genug. Aber wenn die KN nun kommentiert:

Wer klimapolitisch Veränderungen herbeiführen möchte, muss überzeugen, Grautöne wahrnehmen und sich Mehrheiten suchen.

Der verweigert sich auch der Realität, dass die Wahlen ja stattgefunden haben. Natürlich muss es dann im Detail auch Kompromisse geben, aber die Richtung muss ja stimmen und auch im Groben eingehalten werden. Hier und da muss man dann schauen, ob das nicht zu unerwünschten Nebenwirkungen kommt. Dann kann man ja auch mal eine Ausnahme machen. Die KN will aber lieber die Ausnahme und den Kompromiss als Leitlinie etablieren. Also genau das, was seit Jahrzehnten nicht funktioniert hat. Die Mobilitätswende gab es teilweise schon Mitte der 80er Jahre auf dem Papier, aber es wurde immer nur schlimmer. Es braucht eben auch wirksame Politik. Und dann darf eben der SUV nicht mehr überall parken, Sorry!

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