Krieg in Europa

Autor:in

Thilo Pfennig

Veröffentlichungsdatum

19. August 2024

Schlüsselwörter

Ukraine, Russland, NATO, NATO-Doppelbeschluss, Deutschland, Cruise Missiles, Pershing, Atomkrieg, Mittelstreckenwaffen, Euromissiles, Ukrainekrieg, Kriegsgefahr, Cruise Missiles, Tomahawk, NATO-Osterweiterung

7A Koshytsia Street, Kyiv, 25 February 2022. Photo: Oleksandr Ratushniak /UNDP Ukraine

7A Koshytsia Street, Kyiv, 25 February 2022. Photo: Oleksandr Ratushniak /UNDP Ukraine, https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/ some right reserved

Krieg in Europa

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine beschäftigt Europa und die deutsche Politik nach wie vor. Auch gerade der Rückblick auf den Kalten Krieg und den NATO-Doppelbeschluss, fand ich diesen MIT-Vortrag von Pof. Susan Colbourn ganz erhellend:

Denn es ist lange her und ich war damals auch noch ein Kind und habe die Debatten nicht verfolgen können. Mir war zB neu, dass weniger die USA die treibende Kraft waren, sondern eher Deutschland und Helmut Schmidt. Ursächlich für die Krise war die Produktion des RSD-10-Systems.

In Westdeutschland gab es große Proteste (1983 1,3 Mio. Bürger*innen!1) gegen die Aufstellung von Amerikanischen Mittelstreckenraketen bzw. das Wettrüsten.

Von AFP gibt es ein Video auf deutsch mit einer Vorführung der Sowjetunion 1988 für westliche Journalist*innen:

Das war der Beginn einer Entspannung zwischen Ost und West und Teil der dann unterzeichneten Abrüstung. Also man näherte sich eher an und das Ende der Sowjetunion rückte näher.

Hier habe ich noch einen schönen amateurhaften Rückblick, der ein wenig Einblick in die Stimmung damals gibt vom Jugendhaus Immenstadt gefunden:

Es gibt Parallelen zu heute, aber dennoch lässt sich die Zeit damals nicht ganz auf heute übertragen. Die Hochrüstung war definitiv eine Gefahr und Abrüstung eine verdammt gute Idee, die dann ja auch ein paar Jahre umgesetzt wurde.

Leider sind die Bestände nach wie vor hoch und die Zeit der Entspannung ist lange vorbei.

In und um Russland gab es in den letzten Jahrzehnten diese Konflikte:

  • Seit 1990 Transnistrien-Konflikt

  • 1991-1994 Krieg in Südossetien und Abchasien

  • 1994-1996 Erster Tschetschenien Krieg

  • 1999-2009 Zweiter Tschetschenienkrieg

  • 2008 Kaukasuskrieg

  • 2014 Annexion der Krim und Konflikt in der Ostukraine

Es gab also eine nahezu 32 Jahre dauernde Kriegstätigkeit Russlands im In- und Ausland vor dem erneuten Einmarsch in die Ukraine 2014.

Und ein Großteil fand bereits vor 4. NATO-Erweiterung (erst ab 1999, da lief bereits der 2. Tschetschenienkrieg) statt. Ich denke, dass dieser Kontext oft eher ignoriert wird. Russland brauchte nicht die NATO um Krieg zu führen und die eigene Bevölkerung zu unterdrücken. Wie auch immer man zur NATO steht, ist es ja für jeden demokratischen Staat legitim sich irgend einem wirtschaftlichen oder militärischen Bündnis anzuschließen. Und aufgrund der Aktivitäten der Sowjetunion (bis Ende 1991) und Russlands ist es ja verständlich, dass die Bedrohung stärker wahrgenommen wurde.

Lesenswerter Artikel zum Aufnahmeprozess The Breakaways: A Retrospective on the Baltic Road to NATO (via Wikipedia)

Zu Selten wird das Budapester Memorandum von 1994 erwähnt:

es … umfasst drei Vereinbarungen, die am 5. Dezember 1994 in Budapest im Rahmen der dort stattfindenden KSZE-Konferenz unterzeichnet wurden. In den Vereinbarungen gaben die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten gemeinsam Kasachstan, Belarus und der Ukraine Sicherheitsgarantien in Verbindung mit deren Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag und als Gegenleistung für die Beseitigung aller Nuklearwaffen auf ihrem Territorium. In den Vereinbarungen werden insbesondere bereits zuvor bestehende Verpflichtungen nochmals klargestellt und bekräftigt.

  • Artikel 1 bekräftigt erneut die Verpflichtung (reaffirm commitment) der Signatarstaaten, Souveränität und bestehende Grenzen zu achten und verweist auf die Schlussakte von Helsinki als Grundlage für die Prinzipien der Souveränität, der Unverletzlichkeit der Grenzen und der territorialen Integrität.

  • Artikel 2 bekräftigt erneut die Pflicht (reaffirm obligation) zur Enthaltung von Gewalt und verweist auf die Charta der Vereinten Nationen als Grundlage des Gewaltverbotes.

  • Artikel 3 bekräftigt mit nochmaligem Verweis auf die Schlussakte von Helsinki erneut die Verpflichtung, wirtschaftlichen Zwang zu unterlassen, der darauf abzielt, die Ausübung der Souveränität innewohnender Rechte durch die Ukraine ihren eigenen Interessen unterzuordnen und sich so Vorteile jeglicher Art zu sichern.

  • Artikel 4 bekräftigt erneut die Verpflichtung (reaffirm commitment), unverzüglich den Sicherheitsrat der UN zur Unterstützung der Ukraine einzuschalten, falls diese als Nicht-Nuklearwaffen-Staat und Teilnehmerin des Atomwaffensperrvertrages mit Nuklearwaffen bedroht würde.

  • Artikel 5 bekräftigt erneut die Verpflichtung (reaffirm commitment) zur Enthaltung vom Einsatz von Nuklearwaffen gegenüber Nicht-Nuklearwaffen-Staaten, die Teilnehmer des Atomwaffensperrvertrages sind.

  • Artikel 6 enthält das Versprechen, sich bei Konflikten zu beraten (will consult).

Damit haben sich Russland, USA und Großbritannien also u.a. auch zur Unterstützung der Ukraine verpflichtet im Krisenfall verpflichtet. Im Grunde genommen erfüllen die USA und Großbritannien aktuell also ihr vertraglichen Pflichten?

Die geplante Stationierung von Tomahawk-System in Deutschland als Reaktion auf den Ukraine-Krieg ist nur möglich, weil die USA 2019 den INF-Vertrag gekündigt haben (begründet wurde es damit, dass Russland neue Raketensysteme angeschafft hat und den Vertrag verletzte). Es ist auf jeden Fall eine neue Eskalationsstufe und eine unglückliche Entwicklung. Der Unterschied zu dem NATO-Doppelbeschluss ist allerdings, dass es bisher nicht um atomare Raketen geht. Und das es nicht mehr um die Weltmacht Sowjetunion geht. D.h. es wird wohl kein neues Wettrüsten geben. Wird Europa und Deutschland dadurch nun sicherer oder unsicherer?

Die Partei BSW spricht ja immer gerne von der Kriegsgefahr für Deutschland. Fakt ist ja aber, dass wir in Europa, zumindest zwischen der Ukraine und Russland seit 2014 mit Unterbrechung bereits einen heißen Krieg haben. Wir können uns da auch nicht einfach zurücklehnen und so tun, als wäre nichts passiert. Egal welche politische Grundhaltung man vertritt, sollte es doch vielmehr um eine Rückkehr zum Frieden gehen und die Suche nach dem richtigen Weg, als darum Deutschland isoliert zu betrachten. Aber genau das scheint mit bei BSW und AfD insgesamt verbreitet: Nach dem Motto: Was geht es uns an? Wenn wir wegschauen, gibt es auch kein Problem nicht mehr? Oder auch: Das sollen die USA und Russland über den Kopf von uns allen und der Ukraine entscheiden/beenden. Interessanter weise eine SEHR imperiale Sichtweise auf die Welt von sog. Antiimperialisten.

Ich glaube nicht, dass uns Aufrüstung und Krieg mehr Sicherheit gibt. Für mich ist aber eher die Frage, wie man verhindert, das Russland, dass seit über 30 Jahren Krieg in Europa führt und inzwischen grenzüberschreitend und nicht nur auf dem eigenen Territorium bei „abtrünnigen“ Republiken, so weitermacht und nach der Ukraine weitere Länder überfällt. Ich denke nach der Bilanz kann man von Erfahrungen und mehr als nur einem Muster sprechen. Putins Russland verbreitet gezielt Faschismus und wendet sich gegen alle Bestrebungen, die für Menschenrechte eintreten. Und das ist ein großer Unterschied zu vielen anderen Ländern, die allesamt fehlerbehaftet sind und auch, wie die USA ein langes Vorstrafenregister haben. Aber es ist eben ein Unterschied, wenn ein Land gezielt den Genozid von Völkern betreibt, wie Tschetschenen, Belarussen, Georgiern oder Ukrainern.

Für mich ist letztlich aber nur verständlich, dass die Ukraine sich verteidigt und andere Länder auch. In Deutschland scheint mir da aber die Militarisierung der Gesellschaft weit vor der Unterstützung der Ukraine zu stehen, Also genau umgekehrt zu dem, wie es sein müsste. Vielleicht weil man gerne der Rüstungsindustrie Aufträge zuschanzen möchte. Und statt wie die Ukraine damit zu arbeiten was man hat lieber teure Drohnensystem entwickeln und bauen lassen will.

Ich wäre eher dafür, das zu tun, was unbedingt nötig ist. Ganz ohne Zeitenwende und verbale Aufrüstung. Frieden herstellen: Ja unbedingt. Zielgerichtet, ohne sich Illusionen zu machen. Und auch eine klare Haltung pro Demokratie und Menschenrechte. Nicht nur für die Ukraine.

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