Bürgerkrieg in Russland

Autor:in

Thilo Pfennig

Veröffentlichungsdatum

6. März 2023

Montage of photos made during the Russian Civil War (1917-23).

Montage of photos made during the Russian Civil War (1917-23). (CapLiber) This file is licensed under the Creative Commons (https://en.wikipedia.org/wiki/en:Creative_Commons “w:en:Creative Commons”) Attribution-Share Alike 4.0 International (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en) license.

Was Russland als „Spezialoperation” verkaufte, war der Angriff auf die Ukraine. Inzwischen spricht selbst Russland von „Krieg”. Doch was für eine Art Krieg ist das? Manche betrachten es primär als Clash zwischen den imperialen Mächten der USA und Russlands.

Doch ist Russland überhaupt noch auf dem Level der ehemaligen Sowjetunion? Bekannt geworden ist ja damals die Aussage Obamas, dass Russland lediglich eine „Regionalmacht” sei:

Nun war das sicher kein neutrales Statement, aber der Vergleich zwischen NATO und Russland (Statista) militärisch gesehen fällt ja auch extrem unterschiedlich aus. Die Sowjetunion hatte noch vor wenigen Jahrzehnten zusammen mit dem Warschauer Pakt große Teiles Osteuropas besetzt. Und Putin betrachtet vor allem Europa, nicht nur die Ukraine als „eigentlich” legitimen Teil der russischen EInflussphäre. War doch bereits die Sowjetuntion weniger eine Föderation unter gleichen als doch eher Kolonien Russlands. Putin musste zuschauen, wie Russland seit Jahrzehnten an Einfluss in der Region verlor.

Und hier setzen ja auch die Kritiker:innen des angeblich imperialen Krieges der NATO an: „Die NATO” hätte nicht so weit in den Osten expandieren dürfen, weil sich dadurch Putin bedroht fühlt. Übergangen wird dabei aber die jüngere Geschichte Osteuropas, die bis in die frühen 90er Jahre ja von der Sowjetunion dominiert wurde. D.h. viele Menschen ist osteuropäischen Staaten hatten Angst vor Russland und wollten auch unbedingt Schutz von Seiten der NATO haben, weil sie fürchteten, dass Russland doch wieder Lust hat zB die Baltischen Staaten zu besetzen. Eine Gefahr, die nicht zuletzt mit der Besetzung der Krim als nicht unrealistisch deutlich wurde (für uns verwöhnte Westeuropäer).

Russland hat in den letzten Jahrzehnten im eigenen Land und in benachbarten Staaten bereits immer wieder nach einem ähnlichen Muster agiert, um Einfluss zu gewinnen. Wie zB in Georgien, Republik Moldau, Tschetschenien. Immer wieder finanziert Russland zunächst Separatisten und unterstützt diesen dann bei bewaffneten Konflikten dann mit offiziellen Truppen. Nun ist es sicher auch oftmals komplizierter und so hat Georgien selbst auch keine gute Rolle gespielt in der Lösung des Konflikts. Aber Georgien war ein selbständiger Staat in dem Russland wieder einen Fuß in die Tür bekommen wollte. Das sind dann immer die sog. „Unruheprovinzen”- Auch im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien spielt Russland eine unrühmliche Rolle.

Viele verweisen im Zusammenhang mit Russland auf Kriege der NATO und USA hin. Darüber könnte man auch reden. Aber wollen wir jetzt ernsthaft Konflikte gegeneinander aufwiegen und zB den Ukrainer:innen sagen: Da habt ihr Pech gehabt, leider hat vor ein paar Jahren die NATO Afghanistan überfallen, daher helfen wir euch jetzt nicht, euch gegen Russland zu verteidigen? Oder mit dem Hinweis auf den NATO-Partner Türkei in Hinblick auf Kurdistan: Ja, alles richtig, aber wir wissen alle, wie die Allianzen gestrickt sind. Wir leben in einer alles andere als perfekten Welt.

Mein Hauptpunkt in diesem Artikel soll aber mehr sein, was gerade in Russland passiert und die Rolle des Ukraine-Konflikts:

Seit wenigen Wochen kämpfen auch verschiedene Russen an der russisch-ukrainischen Grenze gegen Russland. Im Grunde nach dem gleichen Muster wie in den Regionen Donezk und Luhansk seit Jahrzehnten die Russen: Offiziell verneint die Ukraine ein Beteiligung. Und vielleicht sind die Soldaten dort auch nicht ferngesteuert, sondern aus eigener Motivation und mit eigenen Zielen. Ich beobachte das auch eher mit Sorge, weil ich seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine das auch eher als größeren Bürgerkrieg sehe, bei dem es eigentlich mehr um die Zukunft Russlands geht. Und hier kämpfen sehr unterschiedliche Kräfte einen sehr ungleichen Kampf.

Putin hat vor allem gezeigt, wie schwach Russland und sein Militär inzwischen ist. Und genau die Schwäche wird an der Grenze ausgenutzt. Die Ukraine wird sich freuen, wenn so etwas wie ein Flächenbrand gibt.

In dem Artikel Separatism in Russia gibt es eine Liste der Separatismusbewegungen in Russland. Russland erstreckt sich von Europa bis Asien mit einer gigantischen Landmasse und sehr unterschiedlichen Interessensgebieten. Unter anderem auch mit einer langen Grenze zu China. Zwar gibt es von beiden Seiten ein generelles Interesse an friedlicher Koexistenz, besonders von Russland aus, weil viele westliche Handelspartner weggefallen sind. Aber China hat starke Eigeninteressen und spekuliert sicher auch darauf, bei passender Gelegenheit Territorien von Russland zu übernehmen, wie es dies bereits ein mal im Konflikt mit Indien getan hat.

Meine Befürchtung ist, dass es in Russland und der Ukraine zunehmend komplizierter wird und der Gesamtzusammenhang Russlands auseinanderfallen könnte. Und wenn das passiert, wissen wir nicht, was passiert. Vielleicht hat Putin mit dem Angriff auf die Ukraine auch den Anfang eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs gesetzt? Ich sehe da also weniger eine Gefahr eines internationalen Konflikts oder gar eines Atomkriegs, wie es im Kalten Krieg als Szenario gab. Ich sehe da auch eher einen Konflikt zwischen auf der einen Seite eher autokratischen Diktaturen und teilweise Faschismus (Russland), dann sicher auch Kräfte des Kapitalismus, die nicht deckungsgleich sind mit denen, die eine Demokratisierung ihrer Regionen haben wollen. Es gibt viel Grau und wenig Schwarz-Weiss. Aber Putins Russland steht am wenigsten für mehr Demokratie, weder in Russland noch in der Ukraine oder anderswo.

Ich fürchte aber, dass ein Zusammenbruch Russlands eher zu mehr Leid führe könnte und auch Kräfte stärken könnte, die noch weitergehen möchten als Putin. Dabei ist Russland aber bereits an einem Point of no Return. Die Zukunft ist zwar ungewiss, aber von Putin wird keine Umkehr oder Demokratisierung mehr ausgehen. Putin hat alles auf eine Karte gesetzt. Und seitens des Westens zu kritisieren wäre aus meiner Sicht eher das Zuschauen oder Mitfinanzieren seiner Kriege und Unterdrückung der Opposition. Der Westen hat Putin stark gemacht oder überhaupt erst ermöglicht. Darum gibt es den Konflikt in der Ukraine, es ist auch durch die Aktivität des Westens entstanden. Wobei ich da am allerwenigsten als Ursache sehe, dass die NATO der Ukraine einen Beitritt angeboten hätte. Genau das hat sie ja nicht getan. Ja, es geht um Einfluss und Politikstile. Und da war die Entwicklung der Ukraine Russland ein Dorn im Auge. Aber hätten die Ukrainer:innen denn stattdessen den Kurs weitergehen sollen, den Russland vorgegeben hatte.

Und am Ende ist für mich die Frage, was am besten für die Menschen ist. Da haben wir alle nur wenig Einfluss, weder Putin noch Scholz noch Biden, noch Selenskyj werden darauf hören, was wir zu sagen haben. Ich glaube in dem Blick zurück erscheint dieser Krieg unausweichlich, wie viele andere Kriege zuvor. Nicht, weil es keine Alternativen gegeben hätte, sondern weil bestimmte Entscheidungen getroffen wurden und bestimmte Haltungen oder rote Linien überschritten wurden.

Die Ukraine wird, gerade nach ihren Erfolgen, jetzt nicht kapitulieren. Der Westen die Ukraine weiter unterstützen und Russland wird weiter gegen die Ukraine und Teile ihrer eigenen Bevölkerung kämpfen. Dabei geht es für Putin am meisten um Alles oder Nichts. Aber mit zunehmend schwindenden Möglichkeiten. Viele Panzer verloren, viele Soldaten, etc. .

Aber das ist keine Situation in der ein Frieden wahrscheinlich erscheint. Ein Waffenstillstand vielleicht. Aber der könnte den Konflikt vielleicht sogar verlängern. Ich sehe da ehrlich gesagt kein Ende in Sicht. Selbst wenn der Krieg in der Ukraine selbst beendet wäre (zB nach eine Rückzug Russlands) wird es weitergehen. Der Angriff war ein schwerer Fehler Russlands, der nicht mehr zu korrigieren ist. Und es hat sich ganz und gar nicht so entwickelt, wie sie erhofft haben.

Ich sehe Russland eher in einer Rolle ähnlich wie Deutschland 1945: Umgeben von Feinden und nur wenigen Freunden. Es ist zwar eben gerade kein Weltkrieg, aber Russland beging eine Vielzahl an Kriegsverbrechen, für die es auch u.a. vor Kriegsgerichten Verantwortung übernehmen müssen. Und er zahlt für die wirtschaftlichen Schäden in der Ukraine? Ein einfaches “Sorry, war ein Fehler” wird am Ende wohl nicht reichen. Und eine Besatzung Russlands, wie damals in Deutschland, ist unrealistisch und auch nicht zielführend. Russland wird wohl politisch isoliert bleiben in seiner Sackgasse und seine Zukunft in sich selbst auskämpfen müssen. Und viele spricht dafür, dass es ebenso chaotisch ablaufen wird, wie damals der Russische Bürgerkrieg (ca. 1917-1923).

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