SPD Friedenspolitiker:innen
Das Manifest einiger SPD-Politiker:innen schlägt nach wie vor Wellen, in dem sie die aktuelle Regierungspolitik kritisieren. Hier der Kernpunkt (erster Kritikpunkt) der Unterzeichner:innen:
- Möglichst schnelle Beendigung des Tötens und Sterbens in der Ukraine. Dazu brauchen wir eine Intensivierung der diplomatischen Anstrengungen aller europäischen Staaten. Die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen muss verknüpft werden mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität. Auf dieser Grundlage muss der außerordentlich schwierige Versuch unternommen werden, nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa.
Der Absatz ist schon schwierig, wenn man ihn aufsplittet:
Intensivierung der diplomatischen Anstrengungen aller europäischen Staaten [Anm.: mit dem Ziel:]
Möglichst schnelle Beendigung des Tötens und Sterbens in der Ukraine
[Anm.: Aber:] Die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen muss verknüpft werden mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität
nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa
Der Absatz beginnt also mit Forderungen nach Sofortmaßnahmen, endet dann aber mit Vorstellungen, wie es NACH dem Ende des Ukrainekrieges weiter geht. Und zwischendrin lese ich eine Drohung gegen die Ukraine, dass eine Unterstützung nur noch erfolgen soll, wenn AUCH Russlands Interessen berücksichtigt werden. Also es wird ein friedenspolitischer Konsens angestrebt und zwischen den Zeilen eine weitere Unterstützung der Ukraine aufgekündigt. Unterstützung der Ukraine also nur, wenn Russland das auch möchte. Das das ausgeschlossen ist, dass Russlands Ziel ja ist, sich die Ukraine einzuverleiben bedeutet der Absatz, dass jede Hilfe an die Ukraine sofort eingestellt werden soll. Nur dann wird auch Russland zufrieden sein.
Ich picke mal einige andere Sätze raus:
Europäische Sicherheitspolitik darf sich nicht am Prinzip der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, sondern muss sich an einer wirksamen Verteidigungsfähigkeit orientieren
Hier steht im Prinzip, dass Deutschland und die EU aktuell einen Angriffskrieg auf Russland vorbereiten (“Kriegsvorbereitung”). Dabei tobt ja längst ein Krieg in der Ukraine und läuft bereits ein hybrider Krieg - siehe auch Nord Stream 2 und Schattenflotte.
Keine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland
aber kein Aufruf an Russland ihrerseits ihre Mittelstreckenraketen abzuziehen.
Schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland
Also ich finde den Weg von dem Ziel einer sofortigen Beendigung des Ukrainekriegs zur Zusammenarbeit mit Russland ist ein weiter. Und wenn ich die Kernforderung oben anschauen, dann ist es auch aktuell nicht Primärziel, JETZT festzulegen, wie man nach dem Krieg mit Russland kooperieren kann. Das wirkt auf mich sehr befremdlich.
Diskussion auf phoenix
In der phoenix runde am 12.6. wurde das diskutiert, u.a. auch mit dem Journalisten und Mitunterzeichner Jürgen Zurheide:
Ich habe auch einige Gespräche geführt mit Leuten, die gegen Waffenlieferungen waren und für mehr Diplomatie. Mein Eindruck war, dass da auch gefühlsmäßig mindestens zwei Welten oder Wertesysteme aufeinander prallen. Menschen, die die Positionen dieses Manifests unterschreiben würden, haben meist auch keine fertigen Lösungen in der Tasche und entziehen sich meist der konkreten Nachfrage.
Im Kern ist deren Argumentationslinie primär eine Kritik an der deutschen Politik, oft stärker noch an den USA. Wobei Trump aktuell oft so redet und agiert, wie von diesen Leuten gefordert. Der USA, der NATO wird ein expansiver Expansionismus und Imperialismus unterstellt. In diesem Manifest werden diese Begriffe aber vermieden. Aber auf jeden Fall richten sich Forderungen und Kritik nie primär an Russland. Zwar wird oft der Angriffskrieg Russlands kritisiert und zur Kenntnis genommen, aber entweder wird der NATO eine Mitschuld gegeben, oder dazu aufgefordert, dass man trotz des laufenden Krieges so tun soll, als könnte man ganz normal auf Augenhöhe Deals mit Russland machen. Teilweise wird auch so weit gegangen als Ziel der Import billigen russischen Gases zu fordern. Eigentlich meistens ein Wunsch zur Rückkehr der guten alten Zeit. So als wäre 2022 und 2014 kein Angriff erfolgt. Also zumindest so wenig Reaktion wie nach 2014.
Dann wird auf die Nutzlosigkeit der Unterstützung der Ukraine verwiesen, weil der Krieg ja immer noch andauert. Nach der Theorie wäre es ein Erfolg gewesen, hätte man die Ukraine GAR NICHT unterstützt und wäre die Ukraine in wenigen Wochen von Russland erobert worden.
Zweifel der Alliierten im Zweite Weltkrieg zur Halbzeit
Der Zweite Weltkrieg dauerte von 1939-1945 also rund sechs Jahre. Der Ukraine-Krieg dauert seit 2022 rund drei Jahr an. Es wäre also so, als hätten die Alliierten 1941 das Handtuch geworfen, weil Deutschland ja immer noch nicht besiegt war. Der Ausgang 1945 war nicht absehbar. Nun wiederholt sich Geschichte nicht. Und es ist auch nicht gesagt, ob es wieder sechs Jahre dauert. Darum geht es nicht. Aber ich denke, dass Perspektiven während des Verlaufes eines Konfliktes sich wandeln. Interessant dabei die britische War Cabinet Krise von 1940. Dabei ging es Großbritannien deutlich schlechter als der heutige Status des Ukrainekrieges. Dennoch erinnern die Argumente an damals: Zwar haben die Supporter der Ukraine bis heute durchgehalten, aber es gbt Zweifel über die Sinnhaftigkeit, die Opferzahlen, die Kosten,… .
Wenn der Frieden doch greifbar wäre?
Vieles spricht dafür nach einem Frieden mit Putin zu suchen. Aber auf der anderen Seite stellt sich die Frage, was ein Frieden bedeuten würde und auch welcher Friede? ZB eine vollständig besetzte Ukraine würde ja auch bedeuten, dass die EU plötzlich mehrere Grenzen mit Russland teilen würde. Es gibt ja bereits mehrere Staaten in der EU, die gegenüber Putin freundlicher gesonnen sind. Weiter gedacht wäre dann in Zukunft auch ein territorialer Angriff Russlands auf Deutschland wahrscheinlicher. In dem Manifest wird aber eher das Szenario betont, dass eine stärkere Abgrenzung gegenüber Russland das Konfliktpotential erhöht. Es wird also eher ein “Wandel durch Handel” propagiert, wenn Russland auch wieder mehr mit billigem Gas verdient, wird sie dieses mal nicht wieder angreifen? Angesichts der jüngsten Geschichte 2022 frage ich mich aber, wo da der Optimismus herkommt?
Alles locker betrachten?
Vertreter möchten angeblich nur den “Meinungskorridor erweitern”. Aber es wird natürlich auch das Signal nach Russland gesendet, dass es sich für Putin lohnt durchzuhalten und weiter zu morden. Ich sehe in dem Manifest kein Friedenssignal, sondern eben eher das Signal, dass ein Beibehalten des Kriegskurses am Ende dazu führt, dass die Ukraine keine Unterstützung mehr bekommt und Deutschland zu Kompromissen bereit ist und bereit ist, Russland wieder große Teile Osteuropas zu überlassen. Wenn die Debatte weiter geht, so wird das also den Krieg verlängern und nicht verkürzen.
Auffällig ist auch, dass in dem Manifest der völkerrechtswidrige Afghanistan-Konflikt, der Deutschland so viel Geld gekostet hat und auch eine Ressourcenverschwendung der Bundeswehr bedeutet hat, nicht kritisch beleuchtet wird. Vielleicht weil die Unterzeichner:innen da selbst Befürworter waren?