Neubaugentrifizierung in Kiel

Autor:in

Thilo Pfennig

Veröffentlichungsdatum

27. Juli 2025

Schlüsselwörter

Holtenau-Ost, MFG5, Hörn, Kai-City, Kiel, Gentrifizierung, Neubaugentrifizierung, New-Build Gentrification, New Urbanism, Pier8, INSEKK

Hörn 2025

Kieler Hörn 2025

Im klassischen Sinn wird mit Gentrifizierung die Umformung bestehender Gebäude gemeint ist. Und damit eine Aufwertung des bestehenden Wohnungsbestandes und der zunehmenden Verdrängung der bisherigen Bewohner:innen.

Abseits dieser älteren Gentrifizierungs-Definition ibt es auch den Begriff der „Neubaugentrifizerung“, der sich eher mit Neubaugebieten beschäftigt, die oftmals eher höherpreisiges Wohnen beinhalten, aber keine Renovierung eines Wohnungsbestandes.

s.a. (Davidson und Lees 2010) „New-build gentrification: its histories, trajectories, and critical geographies“

In Kiel sind dabei vor allem das existierende Hörn-Quartier hervorzuheben und die Pläne für Holtenau-Ost (ehemals MFG5-Quartier).

Hörn

In der Hörn (früher Kai-City) waren zunächst 30 % Anteil an Sozialem Wohungsbau geplant. 2021 wurde dann offenbart, dass der Anteil deutlich, auf nur noch 14,7 Prozent sinken würde:

Neubauten haben meistens eine höhere Miete als Altbauten, weil bei einem Neubau ja zunächst Investitionen anfallen. Erst durch die Miete können dann die Zinsen für Baukredite nach Jahrzehnten abgetragen werden. Und das wiederum schafft oft erst mehr Luft für geringere Mieten. Das ist auch eines der Gründe, warum Neubauten sich eigentlich nicht für günstiges Wohnen eignen. Selbst Mieten, die öffentlich gefördert sind, sind daher oft höher als Mieten in Altbauten, die NICHT gefördert wurden, oder aus der Sozialbindung herausgefallen sind.

Dazu kommt auch die Ausrichtung dieser Viertel. So hat die Hörn lediglich eine (Brutto)Wohndichte1 von rund 52 WE (Wohneinheiten) pro Hektar. Im innerstädtischen Bereich ist aber durchaus eine höhere Dichte (150-200 WE) möglich. Eine höhere Bebauungsdichte kann zu einer effizienteren Nutzung der verfügbaren Fläche führen. Dies kann die Baukosten pro Wohneinheit senken, da die Infrastruktur- und Grundstückskosten auf mehr Einheiten verteilt werden.

Die Hörn wurden ja oftmals als „Sahnestück“ in Kiel bezeichnet. Hier eine Eigenbeschreibung der Wohnung von Pier8:

An der aufstrebenden Kieler Hörn bieten die stylischen Eigentumswohnungen im Pier8 eine anregende Wohnkultur mit einzigartigem Wohlfühlfaktor. Erleben Sie maritimes Wohnambiente und die hohe Qualität des Neubaus, kombiniert mit urbanem Lebensgefühl.

ZB auch die 132 qm Wohnung von GVI für 1 Mio Euro. Für Stadtplaner:innen sind ja Neubaugebiete auch ein Traum, denn hier denken sie können sie mal alles richtig machen, was sonst so, zB in Gaarden falsch läuft!

So wurden in die Sanierung und Neubauprojekte mit EU-Unterstützung seit vielen Jahrzehnten Milliarden investiert, während in Gaarden selbst kleinste Straßenmängel nicht behoben wurden. Die Bausubstanz in Gaarden verschlechterte sich zusehends. Die Mieten blieben aber relativ zur Wohnqualität hoch. Was aber in Gaarden nicht stattfand war eine Altbaugentrifizierung im großen Stil. Es gibt einfach zu wenig reiche Leute, die dort ein Altbau zum Wohnen schick machen wollen.

Die ganzen Hoffnungen ruhten daher auf der Hörn, von der man sich dann auch positive Effekte erhofft:

  • Verbesserung des Images von Gaarden

  • Gaarden ist Teil des Integriertes Stadtentwicklungskonzeptes (INSEKK) und soll und die Hörn ist entscheidend dafür, dass Gaarden näher an die Innenstadt gerückt wird. Darum drehen sich seit Jahrzehnten viele Maßnahmen (zB Brücken).

  • Neue Bewohner:innen und Gewerbe ranschaffen, die das Einkommensniveau erhöhen und auch die Durchmischung so erhöhen, dass zumindest in der Hörn andere Menschen wohnen, als in Alt-Gaarden.

  • Langfristig soll die Hörn ja eine Strahlkraft bekommen, wie mit „KOOLKIEL“, dass als „Eintrittskarte nach Gaarden“ wirken soll. Für ein „lebendiges, durchmischtes Quartier“.

Ziel der Hörn scheint also primär die Zusammensetzung der Einwohner:innen langsam zu erreichen. Und man fängt dazu in dem Neubauquartier an, weil man sich da mehr Einflussmöglichkeiten ausrechnet. Gleichzeitig hat man allerdings in Kern-Gaarden Investitionen deutlich zurückgefahren. Das bedeutet also das die Einwohner:innen und Gewerbetreibende dort die Entwicklung des neuen Quartiers bezahlen. Eine Umverteilung von Unten nach Oben.

Holtenau-Ost

Das ehemalige MFG5-Quartier und Sanierungsgebiet Holtenau-Ost, dass bisher als neues Wohnquartier geplant war, sehe ich ähnlich. Seit Jahren Visionen von Holtenau verbreitet, die eine Attraktivierung des Wohnstandortorts Holtenau bedeutet hätten. Zwar sollte es bisher 40% Sozialen Wohnungsbau geben, aber wie viel solche Versprechen wert sind, haben wir ja früher bereits bei der Hörn gesehen.

Hier waren auch auf 78 Hektar nur ca. halb so viele Wohneinheiten (rd. 29 WE/ha) geplant wie an der Hörn.

Atuell in 2025 wird ja wieder der Rückkauf durch die Bundeswehr diskutiert, der scheinbar unausweichlich ist. Auch angesichts der Haushaltssperre und der Haushaltslage ist vielleicht eine Abkehr von der teuren Weiterentwicklung des Geländes sogar hilfreich, damit mehr Geld für benachteiligte Stadtquartiere zur Verfügung steht. Oder das man sich auf Projekte wie die Stadtbahn fokussieren kann.

Alternativen

Wie also mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen? Wichtig scheint ja, dass zu viele Wohnungen aus der Sozialbindung fallen. Das heißt man könnte da politisch und gesetzlich versuchen das aufzuhalten. Die Häuser stehen ja nach wie vor, aber die Mieten können steigen. Auch können Häuser intelligenter und günstiger gebaut werden. Weniger Flächen für Einfamilienhäuser, mehr Nachverdichtung, mehr innenstadtnahes Bauen. Da sind die Optionen nicht ein mal annähernd ausgeschöpft.

Warum wird das eigentlich bisher kaum diskutiert, in wie weit man auch Hauseigentümer:innen entgegenkommen kann, um Wohnungsbestand in Sozialbindung zu halten?

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Literatur

Davidson, Mark, und Loretta Lees. 2010. „New-Build Gentrification: Its Histories, Trajectories, and Critical Geographies“. Population, Space and Place 16 (5): 395–411. https://doi.org/10.1002/psp.584.

Fußnoten

  1. Lexikon der Geographie: Wohndichte https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/wohndichte/9107↩︎

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