Kiels Vision von Digitalisierung und die Realität

Autor:in

Thilo Pfennig

Schlüsselwörter

Digitalisierung, Ticketsysteme, Kiel, Digitale Verwaltung, Open Data, Transparenz, Beschwerdemanagement, Anliegenmanagement, ALLRIS, Ratsinformationssystem

Kiel Digitale Strategie

Kiels Vision von Digitalisierung

Digitalisierung wird in Kiel groß geschrieben. Allerdings gibt es da offenbar ein großes Missverständnis, was das Wesentliche an der Digitalisierung ist. In Kiel glaubt man nach meiner Beobachtung, dass sich Digitalisierung hierin erschöpft:

  1. Eine Dienstleistung der Stadt bekommt ein Onlineformular zum Absenden. Damit wird dann die EIngabe als E-Mail an einen oder mehrere Empfänger:innen gesendet

  2. Manche Dienste und Auskünfte sind nicht mehr telefonisch oder per Papier zu bekommen.

In der digitalen Strategie (PDF) werden 10 Handlungsfelder benannt. Da geht es aber durcheinander wie Kraut und Rüben. Da wird zB „Digitale Wirtschaft“ und „Digitale Verwaltung“ in einem Atemzug genannt. Und „Mitwirkung“ steht an erster Stelle. An sich sollte Digitalisierung einer Stadt aber nur das sein, was unterhalb von Digitaler Verwaltung statt findet.

Bei Mitwirkung wird dann wiederum von Transparenz geredet. Ja, das hängt zusammen, aber da sind wir eher bei Open Data. Und „Digitale Dienste“ sind dann auch irgendwie das Gleiche wie „Mitwirkung“.

Man sieht: Das ganze baut nicht aufeinander auf. Das Papier wurde offensichtlich eher für die Öffentlichkeit geschrieben und nicht als Anleitung zur Digitalisierung.

Die Realität in der Verwaltung und für die Bürger:innen

Die Interaktion innerhalb der Verwaltung, aber auch mit Bürger:innen lässt wiederum tief blicken, wie weit die Digitalisierung in Kiel wirklich fortgeschritten ist. Ich habe in den letzten Jahren sehr viel Interaktionen gehabt, primär bezüglich Veranstaltungsanmeldung. Das heißt Straßensperrungen, Parkplätze sperren. Dabei sind dann meistens mehrere Ämter involviert.

Und um es auf den Punkt zu bringen: Wer dann nicht in einer Mail im Cc (Mailkopie) ist, der bekommt nichts mit. Denn soweit ich sehen konnte, sind die Basis 2025 immer noch irgendwelche Outlook-Installationen. Originalzitat Herr S. aus der Verwaltung:

Ihre Mail finde ich jetzt nicht mehr. Ich bekomme jeden Tag 200 Mails. Die müssen sie dann jetzt bitte noch mal schicken!

Als Anstragsteller konnte ich selber nicht sehen, wer federführend war bei der Antragsbearbeitung.Es sind dann aber oft viele Ämter involviert. ZB. das Marktwesen, die Straßenverkehrsbehörde, die Feuerwehr, das Ordnungsamt, das Tiefbauamt, der Bauhof, die Polizei, ggf. der Kommunale Ordnungsdienst, das Grünflächenamt. Und dann meist mehrere Empfänger:innen pro Behörde. Dazu kommen dann noch Krankheitsfälle und Urlaube. Das heißt dann die bearbeitende Person ist nicht im Haus, das Anliegen liegt in irgendeiner realen oder digitalen Schublade. „Da müssen sie warten bis Frau M. wieder aus dem Urlaub zurück kommt“ - „ Ja, Frau M. ist wieder da, aber nun ist sie krank und ich weiß nicht, wann sie wieder zurück kommt“.

Es geht auch anders: Ticketsysteme

Wer viel mit IT zutun hat, aber auch fast jede:r Telefokunde:kundin kennt die Ticketsysteme (Anliegen- bzw. Beschwerdemanagement). Das heißt man schreibt per Mail, Formular, Telefon an eine Stelle und bekommt sofort, wie zB wie beim Internetdienstleister Hetzner als allererstes eine autoamtisierte Antwortmail mit einer eindeutigen Nummer, zur Wiedererkennung und einem Inhalt wie diesen:

[english version below]

Guten Tag,

Ihre Nachricht ist bei uns eingetroffen. Schön, dass Sie uns kontaktieren.
Sie ahnen es vielleicht schon: Sie lesen gerade eine automatisch verschickte E-Mail.

In Kürze bekommen Sie noch eine ganz persönliche Antwort von uns. Geben Sie uns ein wenig Zeit, um diese zu schreiben. Vielen Dank!

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Hetzner Online Team

Jegliche Anliegen laufen dann über diese Vorgangsnummer. Man kann darauf antworten und Zusatzinfos werden angehängt.

Auf der Seite des Unternehmens oder der Stadt sieht es dann so aus, dass die Mitarbeiter:innen gar nicht mehr mit irgendeinem Mailprogramm arbeiten (müssen). Erst mal kommt da ein Anliegen rein, dass als NEU qualifiziert wird, ggf. aufgrund von Formularauswahl oder Schlagworten im Text wird es einer Abteilung, Kategorie zugeordnet. Möglich ist auch bestimmte automatisierte Skripte auszuführen, die den Fall schon vorbearbeiten. ZB Informationen zusammentragen, sofern sie verfügbar sind. Oder es werden tatsächlich E-Mails verschickt an Menschen, die nicht Teil des Systems sind.

Als nächstes schaut sich dann eine Person (in Zukunft vermutlich auch vermehrt KI) den Fall, recherchiert, kategorisiert feiner, ändert den Status von NEU auf ggf. bestätigt, weist den Fall einer anderen Abteilung zu, oder einem:einer bestimmten Sachbearbeiter:in , bezieht weitere Abteilung ein. Dabei können manche nur sehen, manche nur kommentieren und andere den Status grundlegend bearbeiten oder gar als erledigt abhaken.

Die Sachbearbeiter:innen haben immer eine Liste der für sie offenen Fälle und welche Informationen fehlen, oder ob im Falle eines Antrags eine Genehmigung vorliegt. Und wenn sich der:die Bürger:in online meldet, können auch Auskünfte erteilt werden, oder gar mit einem Klick auf einen Link automatisiert eingesehen werden. ZB auch wenn die Stadt noch auf eine Antwort der:des Bürger:in wartet.

Das ist alles kein Hexenwerk und läuft eigentlich seit Jahrzehnten zuverlässig. Mittlerweile haben sich auch einige Unternehmen auf Kommunen als Kund:innen spezialisiert, wie zB Meldooplus oder maxence.

Generell macht es viel Sinn, eben DAMIT anzufangen, weil ja der Prozess hin zu einer Digitalisierung selbst ja auch verwaltet werden sollte. Aber warum sollte der nicht von Anfang an digital erfolgen? In Kiel liest man allerdings lediglich unterhalb von Digitalen Dienstleistungen den Unterpunkt:

  • Dienstleistungen werden zukünftig jederzeit online sowie mobil genutzt und bieten den aktuellen Stand der Bearbeitung.

Aber selbst Anfragen an den „ Chief Digital Officer(CDO)“ werden weder beantwortet, noch wird ein Maileingang bestätigt. Dabei müsste diese Abteilung eigentlich ganz vorne sein und neue Technologien vorbildlich und als erste Nutzen

Es geht auch anders: Digitalisierung im Backoffice

Etwas anderes wäre, die Daten und den Informationsfluss verwaltungsintern, was primär unsichtbar wäre, zu digitalisieren. Das wäre viel wichtiger als ein paar neue Webformulare für Anträge. Denn solange man immer noch Faxe verschickt oder ggf. Mails ausdruckt und einscannt und Daten nicht digital vorliegen wird jede Digitalisierung nur begrenzt funktionieren. Die eigentliche Arbeit ist oft unsichtbar oder unmerkbar. Es geht gar nicht so sehr etwas ganz anders zu machen, oder einfach nur neu. Grundsätzlich kann vieles so bleiben, wie es war, aber Dinge können digital beschleunigt oder vereinfacht werden. ZB eben auch dadurch, dass E-Mails weniger oder gar nicht mehr verwendet werden. Transparenz ist auch ganz wichtig. Selbst innerhalb der Verwaltungen sind Regeln und Strukturen nicht immer klar. So kann Digitalisierung nicht erfolgreich sein.

Kiel muss umsteuern

Digitalisierung in Kiel wird offenbar immer noch aus den 90er Jahren gedacht, wo das gleichbedeutend war mit dem Internet, oder auch Intranet. Also irgendwas online machen, irgendwas ist online abrufbar, irgendwas digital absenden.

Es gibt durchaus gute Ansätze. ich finde zB grundsätzlich gut, dass es einen freien Kieler Stadtplan gibt. Allerdings ist der schon in die Jahre gekommen und ist sehr langsam.

Die Webseiten der Stadt Kiel sind eine einzige Katastrophe. Auch viele Google-Links führen ins Leere und ist umständlich bedienbar. Das Ratsinformationsgebiet hat Suchergebnisse mit PDFs, die dann nach einigen Minuten veralten. Dann muss man noch mal von vorne suchen. Die Suchmaschine von kiel.de ist auch nicht sehr verzeihend. Ein Schreibfehler und sie findet gar nichts. Da findet man oft mit Google schneller etwas. Das muss heute auch nicht mehr sein. Inzwischen sind interne Suchmaschinen meist schneller und besser als Google. Außer bei der Stadt Kiel (zB sucht man nach “Veranstaltung anmelden” erhäl man bei Google sofort mehrere gute Ergebnisse. Bei der kiel-internen Suche findet man keine Seite, die relevant ist auf den drei Ergebnisseiten.

Skeptisch bin ich auch, wenn CDO Dageförde davon schwärmt wie einfach Angestellte der Stadt Kiel bald selber Fachanwendungen selber programmieren können (VIDEOausschnitt auf Youtube). So als wäre Programmierer:in keine Fachkraft. Das man nicht beim Programmieren auch ganz viel falsch machen kann. Okay in manchen Bereichen können Leute mit entsprechenden Wissen auch skripten. Aber ich denke das sind dann auch Leute, die mit Daten umgehen können und schon Programmierwissen mitbringen. Und eine Anwendung anpassen, das wäre für mich noch keine Fachanwendung selber machen. Und da denke ich auch sehe ich nicht die Leute an der Front nebenbei das machen. Weil man auch immer berücksichtigen muss, was mit den Daten passiert, man muss testen, all das kostet Zeit und da sollte es explizit Leute geben, die sich darum kümmern. Und nicht die Leute, die den Personalausweis beantragen helfen.

Fazit

Manche gute Ansätze also, insgesamt aber gibt es keine Strategie und in der Praxis läuft es schlecht und zu umständlich bei der Stadt. Es fehlt die Kompetenz und wesentliche Teile, die die Digitalisierung erst ermöglichen, fehlen. Da gibt es aber offenbar auch niemand verwaltungsintern oder als Berater:in, der da den Finger in die Wunde legt. Dieses ALLRIS Ratsinformationssystem zB ist schon seit Jahrzehnten ein gruseliges Werkzeug, dass niemand gerne benutzt. Zwar sind da nun auch die Ortsbeiräte integriert, aber es gibt keine einfache URL pro Ortsbeirat. Bzw. wer soll sich so eine URL merken: https://www.kiel.de/de/politik_verwaltung/ratsversammlung/infosystem/si018?GRLFDNR=35 . So etwas wie www.kiel.de/obr/gaarden kann jeder Webmaster in Sekunden anlegen. Vieles ist also nicht nachvollziehbar und es vergeht wertvolle Zeit, wo nichts passiert, außer das ab und zu selbst gefeiert wird, dass irgendein Service jetzt nun auch online erreichbar ist.

Zurück nach oben

Wiederverwendung