Das Schaffende Volk? WTF?

Kultur
Autor:in

Thilo Pfennig

Veröffentlichungsdatum

9. September 2025

Schlüsselwörter

Kulturschaffende, Medienschaffende, Reichskulturkammer, Kultur, Filmschaffende, Kunstschaffende, Schaffendes Volk, Kutlurtätige, DDR, Nazis

Joseph Goebbels: Aufruf der Kulturschaffenden. Ausschnitt aus Völkischer Beobachter vom 18. August 1934

Joseph Goebbels: Aufruf der Kulturschaffenden. Ausschnitt aus Völkischer Beobachter vom 18. August 1934

Ein Begriff macht die Runde

Auch in Kiel hört man es überall: »Kulturschaffende« , »Medienschaffende« , »Filmschaffende«, »Kunstschaffende«

Von der Zeitschrift telegraph und zum Wörterbuch der Untermenschen1:

Mit aller Selbstverständlichkeit wird immer noch der in den 1920er Jahren in der Kulturwissenschaft aufgekommene Begriff »Kunstschaffende« verwendet.  Er gilt als genderneutral. Sprachliche Gleichberechtigung wird als zeitgemäß gepriesen, dem Gendern gehöre die Zukunft, so hören wir immer wieder. So ist etwa in einem Genderwörterbuch im Internet zu lesen, statt der Pluralform Künstler solle das Wort »Kunstschaffende« verwendet werden. Mit diesem Wort schleppen wir allerdings das Tausendjährige Reich in die Zukunft mit. Von der »Herausforderung der überkommenen Worte« sprach einst Theodor W. Adorno.

Joseph Goebbels hatte 1934 im Völkischen Beobachter einen Aufruf der Kulturschaffenden verfasst zur Wahl von Adolf Hitler. Dewr Begriff wurde von der Reichskulturkammer gefördert. In dem Aufruf heißt es u.a.:

„Weil der Dichter und Künstler nur in gleicher Treue zum Volk zu schaffen vermag, und weil er von der gleichen und tiefsten Überzeugung kündet, dass das heiligste Recht der Völker in der eigenen Schicksalsbestimmung besteht, gehören wir zu des Führers Gefolgschaft.“

Zu den 37 Unterzeichnern gehörten auch Wilhelm Furtwängler, Ludwig Mies van der Rohe, Emil Nolde und Richard Strauss.

Hört dazu auch vom Deutschlandfunk Kultur: „Kulturschaffende“ Warum dieser Begriff eine Alternative braucht (2021). Dort wird auch das Wörter des Unmenschen zitiert:

Kulturschaffende Worterklärung: Ein zusammengesetztes Wort - und zwar von jener hybridischen Sorte, wie sie dann entsteht, wenn Zucht und Ordnung aufgehoben sind und im Interesse einer schrankenlosen Fruchtbarkeit alles mit allem zusammen- gesetzt werden darf. Man stelle sich’s ruhig im Bilde einer obrigkeitlich stimulierten geschlechtlichen Vermischung, eines »Lebensbornes«, vor: wo es nur auf die reichliche Produktion von Material ankommt. In der Sprachwissen- schaft, die mit dem Vokabular des Unmenschen nicht so recht Schritt hält, bedeuten »hybridische Wörter« freilich etwas Harmloseres: Kreuzungen aus zwei verschiedenen Sprachen wie Bürokrat oder Automobil. Die Sprachwissen- schaft konnte nicht ahnen, daß die Bastardisierung auch innerhalb einer und derselben Sprache um sich greifen könne: indem nämlich nicht zueinander gehörige oder allzu nah ver- wandte, ja gleichbedeutende Begriffe unsinnig miteinander gepaart würden. Es braucht sich dabei nicht immer um Zusammensetzungen zu handeln wie unsere Kultur- schaffenden. Auch manche hochtönende Zusammenstellung vonAdjektivundHauptwort ergibt einen Bastard, sozusagen im Purpur gezeugt: das »kulturelle Wort« beispielsweise, das als Abteilungsbezeichnung bei Rundfunkstationen gang und gäbe ist, und von dem man sich wundern muß, daß es nicht längst, als eine Verdeutschung von »Feuilletonredak- tion«, auch von strebsamen Zeitungen ins Impressum gesetzt wird. Virchow gilt als der Erfinder des Wortes »Kulturkampf«; übrigens soll es auch schon bei Goethe gelegentlich Vorkom- men. Kulturgeschichte, Kulturmensch, Kulturpflanze - das sind weitere wohlbekannte Zusammensetzungen mit »Kultur-«. Die Wörter kommen alle von uolere«, und der Stammsinn dieses lateinischen Worts enthält schon alle Bedeutungen unserer »Kultur«. Colere heißt bebauen

Zitat aus dem Wörterbuch des Unmenschen (1962) (Bild klicken zum Weiterlesen)

Die Wörter kommen alle von »colere«, und der Stammsinn dieses lateinischen Worts enthält schon alle Bedeutungen unserer »Kultur«. Colere heißt bebauen, heranziehen, pflegen: die Kulturpflanze ist die Pflanze, die auf Pflege und »Kultivierung« Anspruch macht und nicht im Wildwuchs gedeiht.

Der Sündenfall ist also in dem Wort schon angelegt. Er tritt dann ein, wenn das Lebenströmende in der Kultur nicht mehr verpflichtend empfunden wird, wenn der Kultur- mensch sich in gewissen Merkmalen äußerer Art abgehoben glaubt - ja, von wem? vom Barbaren natürlich, das ist das gegebene Wort.

Jetzt braucht’s keine lange Erklärung mehr, warum das Wort »Kulturschaffende« eine bastardhafte Zusammensetzung ist. Was ist denn ein »Schaffender«? Das Wort ist eine von jenen fatalen Substantivierungen der partizipialen Zeitwortform, von denen eigentlich nur der »Reisende« ein Bürgerrecht im Lande der Hauptwörter gewonnen hat. Bedarf besteht nach dem Wort »Schaffender« gewiß erst, seit die Bevölkerungsstatistik ihr Netz über das Gebäude der Stände und Klassen hinspinnt.

Siehe auch die Reichsausstellung: „Schaffendes Volk“.

Der erste Preis im Plakatwettbewerb,  Entwurf von Arno Drescher Q DN 5.8.1936

Der erste Preis im Plakatwettbewerb,  Entwurf von Arno Drescher Q DN 5.8.1936 via <http://schaffendesvolk1937.de/die-konzeption-der-ausstellung/die-propaganda-fuer-die-ausstellung/>

Mir dreht es regelmäßig den Magen um, wenn ich diese Art Worte höre und auch in Gesprächen. Da könnte man sich fragen, warum Menschen Kulturwissenschaften studieren und ihnen dann solche Begrifflichkeiten auch 2025 so locker über die Lippen gehen? Aber ich bins auch müde geworden jedes mal auf den Kontext hinzuweisen. Am Anfang fand ich das Wort aus einem Bauchgefühl heraus unangenehm, so wie »Lebenskünstler« oder die Redewendung »Alles Ist Gut!« oder »Das Gute Leben« - all diesen Worten oder Redewendung gemein vielleicht eine Art Schleier, der über alles gelegt wird, eine Unbestimmtheit, die mit Überzeugung vorgetragen wird. Es soll irgendwas aussagen, aber der Kern ist leer und zu allem ge- und damit auch zu missbrauchen.

Kapitel DDR

Auch in der DDR wurden diese Begriffe verwendet. Ich verweise auf den Artikel Warum in der DDR Künstler zu Kulturschaffenden wurden.

Der Begriff „Kulturschaffende wurde bereits im Nationalsozialismus verwendet. Die DDR hat sich dieser Formulierung anstelle des „Künstlers“ gern bedient. Diktaturen haben etwas gegen Künstler. Das Wort verursacht ihnen Unbehagen. Künstler beanspruchen für sich Unabhängigkeitt, Meinungsfreiheit und das Recht, ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Zwänge oder Erwartungen schöpferisch tätig zu sein. Natürlich konnte die DDR einen solchen Anspruch nicht dulden. Ebenso wie die Nationalsozialisten und die sowjetischen Kommunisten unterschied sie zwischen „schädlicher“ und „wertvoller“ Kunst. Das Wort Künstler wurde konsequent vermieden und weitgehend ersetzt durch den Begriff „Kulturschaffender“; damit rückte man Künstler begrifflich in die Nähe der Arbeiterklasse. Wie Bauarbeiter, Bäcker oder Kfz-Mechaniker hatten Kulturschaffende politische, gesellschaftliche Aufgaben zu übernehmen, und zwar im Sinne und zugunsten des sozialistischen Systems.

Petra Riemann, Die Stasi, der König und Zimmermann. Eine Geschichte von Verrat, Berlin;: Metropol 2019, p 61

Kultur Begriff

In dem Sinne könnte man natürlich auch gleich Begriffe wie »Kultur« an sich oder auch »Kulturinitiative« zu Recht kritisieren. Kultur von was? Warum? Für wen? von Wem? Da kann man auch weitergehgen und über Begriffe wie »Fortschritt« oder »Tradition« oder »Natur« philosophieren oder vielleicht doch besser dekonstruieren?

Alternative Begriffe

In Oberösterreich machte man sich auf die Suche nach alternativen Begriffen.

Und so wurde dann 2021 ein Begriff gefunden:

Begleitet von Berichterstattung in KUPFzeitung, derStandard und Deutschlandfunk Kultur suchten wir von Mitte März bis Ende April 2021 also nach alternativen Begriffen.

And the Winner was:

  • »Kulturtätige«

Der Favorit der Jury, ‹Kulturtätige›, überzeugt vor allem durch seine Praktikabilität und Neutralität. Er ist «kürzer» als die ‹Kulturschaffenden› und «leicht auszusprechen» (Fábián). Er enthält ‹die Tat›, ‹das Tun›, klammert gleichzeitig aber den ‹Zwang› produktiv zu sein aus. Und: Die «unterschiedlichsten Berufsfelder und Lebensrealitäten» (Delhougne) werden abgebildet – so umfasst er etwa auch «Vermittler*innen, Veranstalter*innen» (Jöchl). Damit schließt er auch gut an ‹Kulturarbeiter*innen› an, ohne jene auszuschließen, die ihre Tätigkeit nicht als Arbeit (oder als mehr als Arbeit) verstehen.

Fazit

Man muss nicht immer jeden Begriff wechseln. In diesem Fall finde ich den Begriff allerdings hochbelastet und problematisch. Der Begriff »Kultur« lässt sich nicht vermeiden. Aber mehr Sensibilität bei Sprache lohnt sich. In jüngster Geschichte hatten wir ja auch den Begriff der »systemrelevante Berufe«. Einige Künstler:innen wehrten sich auch gegen Versuche sie auch als systemrelevant einzuordnen. Bzw. gab es auch Kritik an der Einordnung. Man denkt auch an Begriffe wie »Entartete Kunst« . Eben die Frage: Aus welchen Gründen wird eine Kategorisierung vorgenommen? Steckt eine Agenda dahinter?

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Fußnoten

  1. https://telegraph.cc/kunstschaffende-oder-kulturschaffende-begriffe-aus-dem-woerterbuch-des-unmenschen/↩︎

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