„Dritte Orte“ sind zur Zeit in aller Munde, direkt zum Hype geworden. Die Wikipedia definiert es so 1:
Der Begriff Dritter Ort, engl. third place oder seltener auch great good place, umschreibt in der Soziologie Orte der Gemeinschaft, die einen Ausgleich zu Familie und Beruf bieten sollen.
Starbucks Gründer Howard Schultz:
Die Geschichte
Soziologe Ray Oldenburg (1932-2022) definierte 1989:
Ort ist Zuhause
Ort ist die Arbeit
Ort etwas was weder Zuhause noch Arbeit ist, aber Ankerorte für das soziale Leben
Ausgedrückt im Buch The Great Good Place. Dritte Orte sollen ein Mittel gegen Einsamkeit, politische Polarisierung und für Klimaresilienz sein (Co-Autorin Karen Christensen)
Was soll ein Dritter Ort sein?
Orte bei denen Gespräche im Mittelpunkt stehen. Die Definition ist etwas unscharf. Teilweise werden Kneipen und Cafés so definiert, aber auch Community Centres (wie zB die Mehrgenerationenhäuser) oder Büchereien. Wobei ja Büchereien oft eher als Ort der Stille gesehen werden und weniger als Ort sich laut zu unterhalten. Teilweise gibt es auch die Anforderung, dass an so einem Ort kein Konsumzwang herschen sollte. Dann würden Cafés und Kneipen aber wegfallen.
Auf der anderen Seite sehen wir oben, dass der Starbucks-Gründer diese Idee befördert. Zu vermuten ist, dass des einfach gut zu seinem Marketing passt.
Es gibt auch ein Buch Marketing spüren: Willkommen am Dritten Ort, wo im Klappentext steht:
Brandlands und Flagship Stores, Urban Entertainment Center und hippe Lokale gehören zu den neuen Erlebniswelten der Wirtschaft. Nach der durchgestalteten Wohnung und dem ästhetischen Arbeitsplatz sind die »Dritten Orte« jene öffentlichen Plätze, an denen man sich zu Hause fühlt und emotional auftanken kann. Sie sind Räume spektakulären Erlebnismarketings und »begehbarer Werbung« zugleich. Und sie bringen unsere Städte zum Leuchten, die ohne diese Lebensräume nur halb so attraktiv wären.
In der aktualisierten Neuausgabe seines Marketing-Klassikers berichtet Christian Mikunda von den neuesten Trends bei der Inszenierung von »Dritten Orten«. Das »Giga-Phänomen« hat Riesenschiffe mit eigenem Central Park und Amphitheater am offenen Heck genauso hervorgebracht wie Hotels mit 150 Meter langem Infinity Pool in 200 Metern Höhe. Die neue Disziplin des »Urban Designs« verwandelt unsere Städte in Spielplätze für Erwachsene oder lässt uns etwa durch 50 Meter hohe Bäume spazieren, die eigentlich hängende Gärten sind.
Das Buch ist Inspiration und unerlässliches Grundlagenwerk für jeden Marketingschaffenden!
Just wow! Klingt so als wären diese Dritten Orte das Gegenteil eines Dritten Ortes, “Begehbare Werbung”,… es dreht einem den Magen um.
Kritisiert wird auch, dass viele Dritte Orte für Menschen eher Arbeitsort sind in der modernen Arbeitswelt (Homeoffice). Das also die Trennung von Arbeit und Wohnung heute schon nicht mehr zeitgemäß ist.
Im Youtube Kanal Radical Planning gibt es dazu auch ein gutes Video:
„Scheint, als würde gerade jeder über ‚Third Places‘ reden wollen. Ehrlich gesagt, verstehe ich den Hype nicht. Ray Oldenburg – der Begründer der Theorie – war nach den meisten Definitionen nicht progressiv. Seine Theorie basiert auf einer strengen, von Misogynie und Homophobie geprägten Männlichkeit. Ich kann Ray Oldenburg wirklich nicht ausstehen, und in diesem Video zeige ich euch genau, warum.“
Es wird auch diskutiert, dass Dritte Orte nicht geplant werden können, sondern wachsen müssen und dann einfach existieren. Momentan wird der Begriff auch viel von Bibliotheken verwendet2, die so etwas wie eine Identitätskrise haben:
Bibliotheken befinden sich seit Jahren in einem fortlaufenden Transformationsprozess. Im Zuge der Digitalisierung und des Verlusts ihres Informationsmonopols entwickeln sie sich weg von der reinen Medienausleihe mit Beratung und Aktivitäten der Leseförderung hin zu einem lebendigen Erlebnisraum mit hoher Aufenthaltsqualität und vielfältigen Möglichkeiten, sich auszutauschen und weiterzubilden. Von zentraler Bedeutung für diesen Wandlungsprozess ist das Konzept des Dritten Ortes.
Fazit
Die Definition ist also schwammig. Der Urheber eher eine fragwürdige Gestalt. Bibliotheken legen eigentlich Wert auf Wissenschaftlichkeit und Fachpersonal. Umso verwunderlicher ist, wie zB der Deutsche Bibliotheksverband e.V. den Ursprungsbegriff einfach okkupiert und in seiner Bedeutung umwandelt, ebenso die Landesbibliothek SH (mehr zum Umbau).
Unterm Strich bieten ja viele Ideen rund um Dritte Orte auch gute Ideen für einer längst überfälligen Modernisierung ab. Allerdings ist fraglich, ob es dazu des Buzzwords „Dritter Ort“ bedurfte. Auch alleine schon, weil der Begriff mit dem Autor vorbelastet ist.
Und es gibt wie in dem Video oben beschrieben ja auch alternativ eine linke Infragestellung zu Eigentum und Hierarchiefreiheit. Oder auch die Sichtweise, dass man auf eine funktionierende Stadt mit lebendigen Orten hinarbeiten sollte.
Momentan wird der Begriff Dritter Ort also mehr von den Eigentümern der Orte verwendet - und entweder als Teil eines kommerziellen Marketings oder der Neuerfindung von so etwas wie Bibliotheken. Wobei es derzeit nicht weniger Cafés, Kneipen oder Büchereien gibt. Sogar die Anzahl an Kinos ist relativ konstant.
Der Begriff scheint für viele Leute etwas anderes zu bedeuten und sich gut zu eignen, um ihn beliebig aufzuladen. Damit einher geht aber auch die Gefahr des Missbrauchs oder von Scheinlösungen. Und manche Themen fallen dabei auch unter den Tisch, wenn der Kontext dann doch mal wieder aufgeräumt wird und bestimmte Nutzungen als „das ist ja kein Dritter Ort“ definiert werden. Begriffe, die aber für jeden Zweck dienen verlieren ihre Aussagekraft.
Daher sollte man den Begriff nicht ernsthaft verwenden, denn man muss dann wieder so viel erklären, was man meint, dass man auch gleich schon mit der Erklärung der eigenen Absicht anfangen (und den Begriff weglassen) kann.
Fußnoten
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Dritter_Ort↩︎