Der erste Wahlgang zur Oberbürgermeister:innen-Wahl in Kiel ist vorbei und die Ergebnisse liegen vor: Die Top 3:
Gerrit Derkowski mit 28,7%
Samet Yilmaz mit 24,8 %
Ulf Daude mit 23,3 %
Natürlich geht jetzt das große Interpretieren los: Was ist passiert und was bedeutet das alles?
Derkowski und CDU liegen vorne
Vergleichen wir zunächst die Wahlergebnisse mit der Kommunalwahl 2023. Da hatten CDU und FDP zusammen:
- 22,9 (CDU)+4,5 (FDP) = 27,4 % (oder auch 24.092 Stimmen).
Dieses mal: 28,7% (oder auch 26.649). Damit hat also das FDP/CDU-Lager 1,3 Prozent mehr Stimmen (absolut: 2.557) als das letzte mal. Nun gibt es schon einige, auch bei der SPD, die das vorschnell als großen Erfolg einer Anti-Stadtbahn-Kampagne ansehen und auch von einem „klaren Votum“ (Betzholz, Kieler Nachrichten am 16.11.) sprechen:
Ich denke das Ergebnis ist insofern klar ein Erfolg für die CDU, denn ihr Kandidat lief als erster durchs Ziel. Und das trotz eines eher wenig überzeugenden Wahlkampfes.
Man sollte aber auch nicht plötzlich vergessen, was Derkowski von allen anderen Kandidat:innen unterscheidet: Seit 1990 kennen die Schleswig-Holsteiner:innen seine Stimme bereits aus dem Hörfunk (RSH). Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie moderierte Gerrit Derkowski jährlich die Eröffnungs-Zeremonie zur Kieler Woche auf dem Kieler Rathausplatz, zuletzt das 125. Jubiläum der Kieler Woche am 22. Juni 2019 (Quelle: Wikipedia).
Und nicht zuletzt war er jahrzehntelang fast jeden Tag ein vertrautes Gesicht, was direkt in die Wohnzimmer auch vieler Kieler:innen übertragen wurde im Schleswig-Holstein-Magazin. Eine Sendung, die sehr beliebt ist. Dieses Vertrauen konnte er dann auch mit seinem Seitenwechsel für sich nutzen. Was per se auch schon bedenklich ist.
Aber es ist schon erstaunlich, dass dieser simple Fakt in der Berichterstattung kaum Beachtung (oder Kritik) findet. Die Leute vertrauen solchen Leuten, gerade Nachrichtensprecher:innen, weil sie vorgeblich die Wahrheit sagen und den Leuten die Welt erklären. Auch wenn sie das meiste nur vom Teleprompter ablesen.
Ergebnisse von GRÜNEN und SPD
Mir war dann gestern beim Vergleich der Grafik dann noch mal aufgefallen, dass Daude (SPD) wirklich keinen der Wahlkreise gewinnen konnte:
Wie sieht es mit den Zahlen von SPD und GRÜNEN getrennt und zusammen im Vergleich zur Kommunalwahl 2023 aus:
2023: 27,1 (GRÜNE) + 22,0 (SPD) = 49,1 % (oder auch 43.095)
2025: 24,8 (GRÜNE) + 23,3 (SPD) = 48,8% (oder auch 44.620)
GRÜNE und SPD zusammen haben also 1.520 Stimmen dazugewonnen, aber gleichzeitig 0,3 Prozentpunkte weniger erreicht.
Die Anderen Parteien/Kandidat:innen
Auffällig die Stärke der LINKEN, die von 4,9 % (2023) auf 8,1% anstieg (3.234 mehr Stimmen!) mit einer relativ populistischen Kampagne von Thoroe, der günstigere Mieten, Heizkosten und vieles anderes versprach.
Auch Volt und Viola Ketelsen waren mit 4,1 % relativ stark. Der SSW schwächelte mit seinem Kandidaten Marcel Schmidt.
Ein Votum gegen die Stadtbahn?
Rund ein Viertel der Kieler:innen haben sich für einen Kandidaten ausgesprochen, der zwar stets betont hat, dass er nichts grundsätzlich gegen einer Stadtbahn hat, aber dennoch hautpsächlich dagegen plakatierte.
Wie lief es bei der letzten Oberbürgermeister:innen-Wahl?
Kämpfer erhielt damals bereits im ersten Wahlgang (und mit einer Positionierung Pro Stadtbahn) 65,8 Prozent. Übrigens sieht man da sogar dass Thoroe/LINKE 2019 sogar stärker waren als dieses Jahr!
So sieht ein KLARES VOTUM aus: Nicht 27,8 % sondern doch mindestens 50%. Wenn die Kandidaten in eine Stichwahl müssen, kann man kaum von einem klaren Votum sprechen. Die Mehrheit hat Kandidat:innen gewählt, die sich mehr oder weniger stark für die Stadtbahn aussprechen.
Vielleicht kann man sagen, dass in Kiel eben eine Minderheit, also ungefähr jeder Vierte nicht von der Stadtbahn überzeugt ist. 33 Prozent der Kieler:innen gaben 2025 an, dass das Auto ihr bevorzugtes Verkehrsmittel ist. Anfang der 2000er waren das noch über 40 Prozent.
Die Kieler Nachrichten hat Derkowski aber quasi bereits zum Sieger der Stichwahl erklärt und dafür auch bereits mit der Stadtbahn eine einzige Begründung geliefert.
Wahrscheinlicher erscheint mir bei näherer Betrachtung der Zahlen, dass die SPD eher verloren hat, weil sie Themen nicht mehr glaubhaft vertritt, die nun die LINKE angesprochen hat. Das ist ja auch ein wenig Bundestrend - eine neue Stärke der LINKEN, lustigerweise ja ausgelöst durch die Abspaltung des BSW, das zunehmend an Bedeutung verliert. Ich sehe das Wahlergebnisse daher mehr als kleinen Denkzettel für die SPD, die sozialen Themen, vor allem das Thema Wohnen ernster zu nehmen.
Die Kieler:innen wählen ansonsten seit vielen Jahrzehnten Parteien und Kandidaten, die sich für Stadtregionalbahn oder Stadtbahn aussprechen. Es wäre m.E ein grober Interpretationsfehler, wenn man meinen würde, hier wäre eine 180-Grad-Wende angebracht.
Die Leute sehen auch, wo hart gespart wurde und das trotzdem eine Olympiabewerbung angestrebt wird mit dem ganzen Schulden-Risiko. Viele Leute kommen sich da verarscht vor. Und der Kandidat Daude konnte das auch nicht erklären.
Wie geht es weiter?
Die SPD will noch überlegen, wen sie im zweiten Wahlgang unterstützt. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn sie jetzt auf Derkowski umschwenken würden. Das wäre vermutlich auch das Ende der Kooperation und würde noch mehr Fragen aufwerfen. Und auch die Frage, wie die Wähler:innen dazu stehen. Generell haben die GRÜNEN ja die SPD bei fast jeder OB-Wahl unterstützt. Das wäre schon ein Ding, wenn sie dieses mal im Gegenzug den Gefallen nicht erwidern.
Insgesamt war das kein politisches Erdbeben. Den Derkowski-Effekt wird es bei der nächsten Kommunalwahl 2028 nicht geben. Und dann wird sich zeigen, was von dem Höhenflug übrig bleibt. Bzw. wird interessant sein, wie viel Prozent Yilmaz am 7. Dezember holen kann. Ich gehe mal davon aus, dass es mehr als 50% werden wird. Aber 65% halte ich für ausgeschlossen. Ich denke 60% wären möglich und sollten auch ein klares Votum sein.



