
Disclaimer:
Ich habe in den 90er Jahren meine damals noch vorhandene Wehrpflicht durch Zivildienst durch Wehrdienstverweigerung abgeleistet. Damals musste man 15 Monate Zivildienst leisten. Drei Monate mehr als der Grundwehrdienst. Sozusagen als Bestrafung, dass man es wagte zu verweigern. Ich denke, das war damals auch genau richtig. Es war die Zeit von Glasnost und richtig das Wettrüsten zu hinterfragen.
Ich werde in diesem Artikel verschiedene Aspekte der Wehrpflicht reflektieren.
Die Entstehung der Wehrpflicht
Die moderne Wehrpflicht startet tatsächlich mit der Französischen Revolution im Jahre 1793 und gegen im Krieg gegen Mächte, die die Monarchie zurückbringen wollten. In der Moderne begann auch die moderne Disziplinierungsgesellschaft. Verbunden mit Vorstellungen von Gleichheit und Gerechtigkeit. Aber eben auch mit der Notwendigkeit des Staates eine umfassende Kontrolle über seine Bürger:innen auszuüben. Nicht nur mit der Befolgung diverser Gesetze, sondern eben auch elementarer die Menschen selbst in ihrem Leben und ihrem Denken.
Die negativen Auswirkungen haben wir dann besonders in Deutschland während der Nazizeit gesehen, wo eine totale Unterwerfung des Individuums erwartet wurde. Und das auf der anderen Seite auch in einer totalen Vernichtung endete. Sozusagen eine absolute Selbstaufgabe, die so endet, dass am Ende keine menschlichen Werte mehr bewahrt wurden und amit die Gesellschaft als solches vernichtet wurde, begründet allerdings mit der angeblichen Notwendigkeit all das zu tun, um diese zu erhalten.
Die Freiheiten, die wir verlieren
Das führt uns eben dazu, dass es eigentlich immer darum geht, was wir in einer Gesellschaft bewahren wollen. Bzw. gibt es immer unterschiedliche und auch widerstrebende Zielsetzungen oder Antagonismen, Widersprüche. Die muss man in einer Demokratie aushalten. Dazu gehört sicher auch, dass in einer vo Gewalt geprägten Welt nicht immer Gewaltlosigkeit die bessere Antwort ist. Für Kräfte wie den Faschismus bedeutet der Verzicht auf Gewalt eben auch eine Einladung zur Machtübernahme.
Generell ist also eine gewisse Wehrhaftigkeit einer Demokratie sowohl gegenüber inneren Feinden, die die Macht übernehmen wollen, oder auch fremden Mächten, die gerne schwächere Länder überfallen möchten, angebracht. Die offene Frage ist dann eben, welche Mittel angebracht sind und wie Widerstand oder Wehrhaftigkeit aussehen muss oder soll, ohne dass der Charakter der Demokratie erodiert wird.
Deutschland 2026
Wenn wir es dann wieder runterbrechen auf die Bundesrepublik 2026 stellt sich konkret die Frage, wie ist die Bundeswehr organisiert? Oder auch: Wie gut schützt sich unsere Demokratie vor denen, die die Demokratie abschaffen möchten? Und da stellen wir fest, dass zur Abwehr der AfD kaum Schritte unternommen wurden. Im Gegenteil. Auch wenn die AfD zB zu Aggressoren wie Russland enge Verbindungen unterhält, meint man die AfD immer noch eher inhaltlich stellen zu wollen. Man wiederholt damit die Fehler der späten 20er Jahre.
Viel eher ist man bereit in die eigene Rüstung zu investieren. Kaum ist man bereit den Charakter der Bundeswehr zu ändern. Die nach wie vor auf eine fast archaische Unterwerfung von Soldat:innen setzt. Die Technik ist zwar teilweise modern, der Umgang mit Menschen aber nicht. Und ist Wehrpflicht heute noch modern oder tragbar? Die Ukraine hat nach dem Überfall Russlands darauf gesetzt. Russland selbst hat zwar auch viele Menschen in die Armee gezwungen, hat aber offiziell auf eine weitreichende Einberufung breiter Schichten verzichtet, weil man Widerstände zum Krieg befürchtet.
Der Weg der Ukraine
In der Ukraine erscheint es als eine Notmaßnahme, geboren aus einer Alternativlosigkeit mitten im Krieg und weil man fürchtet sonst zu wenige Soldat:innen verfügbar zu haben. Im Konflikt zwischen Freiheit der Ukrainer:innen und Pflicht zur Verteidigung ist man sehr weit Richtung Pflicht gegangen und hat sich gegen die Freiheit entschieden. Am Ende ist es ja auch eine Kalkulation welcher Weg am ehesten zu weniger Freiheit führt: Die Einschränkung der Freiheitsrechte, oder der Verzicht auf eine Wehrpflicht, die evtl. dazu führt, dass der Widerstand gegen Russland endet und dann Russland bestimmt, welche Freiheiten Ukrainer:innen noch haben?
Verschiedene Wege
Es gibt mehr als nur ein oder zwei gangbare Wege. Für die Ukraine ist sicher als Land im Krieg etwas anderes sinnvoller als für Deutschland, dass zwar auch bedroht ist, aber eben (noch) keinen Krieg im eigenen Land führt. Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Länder zB im Zweiten Weltkrieg überfallen wurden und eine verminderte Wehrfähigkeit dazu führte, dass Hitlerdeutschland dominierte. Man kann nicht ernsthaft behaupten, Polen hätte mit gewaltlosem Widerstand mehr erreichen können. Oder zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs, als die Welt und Europa den Faschisten aus Italien und Deutschland nichts entgegensetzen wollte und die Demokrat:innen im Stich ließ?
Das Wesen von Demokratie
Die Debatte in Deutschland hat schon eine starke Schieflage, wenn man glaubt, mit einer klassischen Wehrpflicht heute noch ertwas erreichen zu können. Gleichzeitig schaut man bei der AfD weg, als gäbe es dort keine Gefahr. Politisch betreibt man aktuell mit Abschiebungen genau das, was die AfD sich zum Ziel gesetzt hat.
Demokratie und Werte verteidigen ist eben nicht primär eine Frage von Rüstung, sondern von Überzeugungen, für die auch geworben werden muss. Und es muss auch immer wieder hinterfragt werden, was in einer Situation der richtige Weg ist. Ansonsten bereitet man hier lediglich den Weg für Ideologien, die die Demokratie gerne von Innen aushöhlen, um sie dann einem Totalitarismus zu unterwerfen. Und da gibt es eine seltsame Blindheit, die denkt, eine klassische Wehrpflicht oder Rüstung alleine würde uns davor bewahren. Vielleicht rührt diese auch daher, dass längst vergessen wurde, was das Wesentliche an einer Demokratie ist?